Legal Tec

10.02.2021

Bin ich noch Automatisierung oder schon Legal Tech?

Legal Tech wird als Aspekt „der digitalen Transformation“ zwar zunehmend diskutiert, dabei aber mit ganz unterschiedlichen Inhalten und Charakteristika belegt.

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4 min

Vier Jahre nach der ersten Legal Tech Marktstudie der Bucerius Law School kommt die „Legal Tech-Umfrage 2020“ des Verlags Freie Fachinformationen zu einem ernüchternden Ergebnis: Die Services der in der Umfrage untersuchten Unternehmen gehen kaum über Anwendungen swie die E-Akte oder automatisierte Dokumentenerstellung und -analyse hinaus. Ist das schon „Legal Tech“?

Legal Tech wird als Aspekt „der digitalen Transformation“ zwar zunehmend diskutiert, dabei aber mit ganz unterschiedlichen Inhalten und Charakteristika belegt. Es muss sich jedoch ein einheitliches Begriffsverständnis entwickeln, damit dieser vielversprechende Technologiesektor sein Potential entfalten kann. Andernfalls droht Legal Tech zu einem werbewirksam ausgeschlachteten Schlagwort zu verkommen: Genutzt als Camouflage, um minimale technische Automatisierungen als Ergebnisse eines angeblichen Digitalisierungsprozesses zu bewerben.

Verwaltung und Kanzleien verschleppen die Digitale Transformation

In der Verwaltung und den Gerichten sind die Möglichkeiten der Entwicklung von neuen technischen Services durch Verfahrens- und Prozessvorschriften stark eingeschränkt. Zusätzlich hemmt der mangelnde Digitalisierungsgrad der Justiz die Einführung neuer Systeme und digitaler Arbeitsweisen im Verwaltungsbereich – so bemüht man sich hier auch heute noch um die Umsetzung des elektronischen Rechtsverkehrs und die Einführung elektronischer Akten. Digitale Akten und Kommunikation bilden zwar eine der wesentlichen Quellen für die intelligente und automatisierte Verarbeitung von Rechtsdaten. Sie sind aber nur eine der Voraussetzungen und nicht schon selbst Legal Tech.

Für Kanzleien wiederum beschreibt Legal Tech Anwendungen, mit denen sie eigene Dienstleistungen effizienter erbringen können. Ähnlich wie in der Verwaltung werden auch hier bereits Applikationen für semi-automatisierte Datenerfassung und -auswertung als Legal Tech verstanden. Im Rahmen von Unternehmenstransaktionen betrifft dies beispielsweise die Verwendung von virtuellen Datenräumen. Im Kontext der Beratung von Verbrauchern sind Angebote wie „wenigermiete.de“ oder „Abfindungsheld.de“ Beispiele der automatisierten Datenerfassung und algorithmisierten Vorauswertung – absolut sinnvolle und revolutionäre Anwendungen aus Nutzersicht, die aber nur allererste Schritte in der Digitalisierung des Rechtswesens darstellen.

Soweit über die Anwendung von Legal Tech zur Erstellung von anwaltlichen Schriftsätzen oder Verträgen berichtet wird, scheint dies eine gewünschte werbliche Übertreibung zu sein. Oft handelt es sich auch hier um die Verwendung von Dokumentenautomatisierungen, die – abgesehen vom rechtlichen Inhalt der produzierten Dokumente – keine Besonderheit gegenüber einem üblichen Serienbrief enthalten. Dies spiegelt sich auch im nahezu unverändert hohen manuellen Aufwand für die Anpassung der Services an die Ansprüche von Mandant und Kanzlei wieder.

Wo stehen Unternehmen?

Was verstehen schlussendlich Unternehmen unter Legal Tech? Die Beantwortung dieser Frage würde in vielen Unternehmen sicherlich an die Rechtsabteilung delegiert werden – was intuitiv richtig ist und das bisherige Verständnis von Legal Tech auf den Punkt bringt: Im Unternehmensverständnis beschreibt Legal Tech Spezialanwendungen, die interne und externe „Legal“-Spezialisten nutzen, um die eigene Dienstleistung effizienter zu erbringen.

Hier wird es spannend: Was ist denn die „eigene Dienstleistung“ einer Rechtsabteilung in einem Unternehmen? Die Aufteilung von Aufgaben in einem Unternehmen darf nämlich nicht darüber hinwegtäuschen, dass alle Unternehmensteile an einem gemeinsamen Ziel arbeiten: Das Unternehmen ist wettbewerbsfähig und profitabel zu halten. Die „eigene Dienstleistung“ einer Rechtsabteilung lässt sich daher nicht ohne die Bedürfnisse und Handlungsbeiträge anderer Unternehmensteile verstehen. Entsprechend greifen Legal Tech-Anwendungen zu kurz, wenn sie auf Arbeitserleichterungen für juristische Experten reduziert bleiben.

Rechtsabteilungen als wesentliche Schaltstelle im Unternehmen

Die Rechtsabteilung im Unternehmen ist nie ausschließlich damit beschäftigt, Gutachten zu schreiben oder rechtliche Einzelfragen zu klären. Die rechtlichen Fragen stehen immer in einem wirtschaftlichen Kontext. Häufig gehen mit der juristischen Tätigkeit flankierende Prozessschritte und administrative, nicht-juristische Aufgaben einher.

Sicherlich werden Unternehmen für einzelne Unternehmensvorgänge, die auch für eine Rechtsabteilung relevant sind, technische Lösungen implementiert haben oder implementieren. So verstanden verwenden viele Unternehmen bereits „Legal Tech“ – technische Werkzeuge, die den Unternehmensjuristen effizienteres Arbeiten ermöglichen. Die Verwendung von Einzellösungen – etwa die serielle Ausfertigung von Aufträgen oder der strukturiertere Aufbau einer Datenbank mit Vertragsdaten – darf aber nicht den Blick darauf verstellen, dass es auf die Gesamtheit der Ergebnisse ankommt. Eine Gesamtheit, die nur entsteht, wenn entlang der Wertschöpfungskette alle relevanten Faktoren als Daten vorgehalten und logisch aufbereitet für Entscheidungen zur Verfügung gestellt werden.

Dies ist die Chance für Legal Tech, sich als Treiber der Digitalisierung zu etablieren. Rechtsthemen als Zusammentreffen von Sachverhalt, unternehmerischer Wertung und Handlungsbedürfnis sowie rechtlicher Einschätzung zu begreifen, ist der erste Schritt. Sich die Lösung einer solchen Fragestellung über Aufgabenbereiche und Abteilungsgrenzen hinweg zu erschließen, ist die Herausforderung, der sich Legal Tech-Anbieter im Dialog mit und angetrieben von Unternehmen stellen müssen.

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Autor Christian Hasselbring
Christian Hasselbring

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